Rede im Anschluss an den Bericht des Oberbürgermeisters vor dem Hintergrund des aktuellen Nahost-Konflikts

Redner: Christopher Zenker, Fraktionsvorsitzender

Christopher Zenker

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Beigeordnete, liebe Kolleginnen und Kollegen, werte Gäste,

ich habe Freunde in Israel. Freunde, die wochenlang, manche monatelang gegen die Regierung Netanjahus auf die Straße gegangen sind. Israelische Freunde, die für Verständigungen zwischen Arabern, Palästinensern, Muslimen, Juden und Christen geworben haben. Freunde, die bereits in der Vergangenheit regelmäßig in den Schutzräumen waren, wenn die Hamas Raketen auf Israel abgefeuert hat. Freunde, die mir berichten, dass es kaum jemanden gibt, der nicht mindestens eines der über 1.200 Opfer des Terrorangriffs der Hamas vom 7.10.2023 kennt. Unter den Opfern sind auch Menschen aus unserer Partnerstadt Herzliya, die u.a. auf einem Festival feierten.

Ich habe israelische Freunde, die das sozialistische Kibbuz Be’eri in der Nähe des Gazastreifens kennen.  Ein Kibbuz, welches einen Fond für Bewohnerinnen und Bewohner des Gazastreifens aufgebaut hat. Ein Kibbuz, das für Verständigung stand, wo Menschen aus Gaza arbeiteten. Ein Kibbuz, in dem 130 Männer, Frauen, Kinder, Babies und damit 10 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner von etwa 70 Terroristen abgeschlachtet wurden. Denen die Kopfhaut abgezogen wurde, die erschossen mit Stacheldraht zusammengebunden und angezündet wurden. Kinder, die vor den Augen ihrer Eltern gequält und hingerichtet wurden. Die Terroristen der Hamas haben diese Taten gefilmt und an Familienangehörige der Opfer verschickt. Sie haben Geiseln vom zweijährigen Kind bis zur Rentnerin genommen, Frauen vergewaltigt, schwer misshandelt und die Entführten unter Jubel im Gaza zur Schau gestellt.

Die Terroristen wollten töten. Ihnen waren die Menschen egal. Sie haben ganz bewusst und gezielt keine Rücksicht genommen auf zivile Opfer, auf Babies, Kinder, Frauen und alte Menschen. Nach einem solchen Terrorakt, dem massivsten Zivilisationsbruch gibt es kein „Ja, aber“, kein Relativieren!

Insofern erfüllt es mich mit Entsetzen, dass der Terrorrangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 nicht gesamtgesellschaftlich, partei- und religionsübergreifend von allen „ohne Wenn und Aber“ verurteilt wird. Stattdessen müssen wir erleben, dass dieser menschenverachtende Terrorangriff auch in Deutschland von Islamistinnen und Islamisten bejubelt wird und auf den Straßen zur Feier Süßigkeiten verteilt werden. Wir müssen erleben, dass dieser Terrorakt zwar verurteilt wird, aber im nächsten Moment durch ein „ja, aber Israel hat“ oder „ja, aber die Juden haben doch“ relativiert wird.

In der Vergangenheit haben wir vor allem einen Antisemitismus von rechts erleben müssen. Auf diesen waren 90 Prozent der antisemitischen Straftaten zurückzuführen. Seit dem 7.10. müssen wir erleben, wie sich islamistischer und linker Antisemitismus Bahn brechen. Wir erleben, wie das Existenzrecht Israels auf so genannten propalästinensischen Demonstrationen in Frage gestellt oder verneint wird. Wir werden Zeugen, wie Jüdinnen und Juden noch weniger als zuvor öffentlich zu ihrem Glauben stehen können, weil sie Angst haben, eine Kippah zu tragen oder hebräisch zu sprechen.

Wir müssen auch feststellen, wie tief israelbezogener Antisemitismus auch in Leipzig wirkt. Israelbezogener Antisemitismus liegt vor, wenn an den einzigen jüdischen Staat andere Maßstäbe angelegt werden, als an alle anderen Länder dieser Welt.  Israelbezogener Antisemitismus liegt vor, wenn Israels Recht auf Selbstverteidigung in Frage gestellt wird. Es ist israelbezogener Antisemitismus, wenn die berechtigte Selbstverteidigung Israels gleichgesetzt wird mit den schrecklichsten Taten der Menschheit, der Shoah oder Genoziden an anderen Völkern.

Zu unterscheiden ist davon übrigens die Kritik an Regierungen, die selbstverständlich auch an der israelischen, wie an jeder anderen Regierung zulässig ist. Kritik, die an vielen Punkten wichtig und geboten ist. Kritik, wie sie im Übrigen zu 100.000enden von den Israelis selbst geübt wurde und wie sie auch die ehemalige Bürgermeisterin unserer Partnerstadt Herzliya geübt hat, indem sie mit der erneuten Vereidigung von Netanjahu von ihrem Botschafteramt in Paris zurückgetreten ist, da sie für diese Regierung nicht tätig sein wollte.

Es ging mir nah, als auf einer Kundgebung am 9.11.2023 die Namen der 242 durch die Hamas Entführten verlesen wurden. Mir treibt es auch die Tränen in die Augen, wenn ich das furchtbare Leid der Zivilbevölkerung im Gazastreifen sehe. Das ist Leid, das durch die Hamas verursacht wurde und wird. Denn alles wird knapp im Gazastreifen, Lebensmittel, Wasser, Strom, Medikamente, Benzin, aber die Raketen der Hamas scheinbar nicht. Für die Hamas spielen die Belange der zivilen Bevölkerung des Gaza-Streifens keine Rolle. Das Gegenteil ist der Fall: zivile Opfer sind Teil ihres Kalküls. Die Situation im Nahen Osten macht traurig und wütend. Auch wenn es in weiter Ferne scheint: Ich wünsche mir Frieden für die Menschen im Nahen Osten, ich wünsche mir eine Zwei-Staaten-Lösung. Diese wird nur ohne die Hamas gehen und auch nur wenn die Länder der Region dieses Ziel gemeinsam verfolgen.

Die Hamas hat einen Krieg entfesselt, der begleitet von Demonstrationen auch die Sicherheit von Israelis sowie Jüdinnen und Juden in Deutschland, auch in unserer Stadt Leipzig, gefährdet. Israelische und jüdische Einrichtungen und Geschäfte müssen wieder verstärkt geschützt werden. Unsere jüdischen und israelischen Freundinnen und Freunde, unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Leipzig haben Angst. Wir spüren diese Angst und wir nehmen sie ernst. Dass wie sie ernst nehmen, müssen wir jedoch noch stärker zeigen: Durch unsere Anteilnahme, durch ein deutliches Bekenntnis zum Miteinander, durch eine klare unmissverständliche Verurteilung des Terrors der Hamas, ganz ohne “ja, aber“. Denn für die Verbrechen der Hamas gibt es keine Relativierung!

Ich bin 1979 geboren. Ich trage keine Schuld an den Verbrechen der Nazis, an der Shoa. Aber ich trage Verantwortung. Verantwortung dafür, dass so etwas wie die Shoa nie wieder passiert. Deshalb setze ich mich ein: gegen Diskriminierung, gegen Rassismus und gegen Antisemitismus.

Ich verurteile Antisemitismus, wenn er von rechts kommt, z.B. durch die Relativierung der NS-Vergangenheit, wie sie die AfD regelmäßig betreibt, oder durch den Anschlag auf die Hallenser Synagoge am 9.10.2019. Aber ich verurteile Antisemitismus auch und erhebe meine Stimme, wenn Antisemitismus – getarnt als „Israelkritik“ in Worten und Taten – von islamistischer oder linker Seite kommt.

Wenn wir es ernst meinen, Antisemitismus nicht zu dulden, dann gilt das für alle Formen des Antisemitismus: Egal, ob er israelkritisch daherkommt, islamitisch, rechtsextrem oder links geprägt ist.

Nur dann meinen wir es ernst mit „Nie wieder“. Denn „Nie wieder“ ist jetzt!

Hier finden Sie den Beitrag aus der Ratsversammlung als Video.

Rede zum Antrag „Qualität und Zufriedenheit der Kindertagesbetreuung verbessern“

Redner: Christopher Zenker, Fraktionsvorsitzender und sozialpolitischer Sprecher

Christopher Zenker

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Beigeordnete,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
werte Gäste,

mit unserer Anfrage zur Entwicklung der Vergabe von Plätzen in kommunalen Kindertagesstätten sowie jenen in freier Trägerschaft aufgeschlüsselt nach Betreuungsverträgen, Integrationskindern und Kindern mit Migrationshintergrund wollte unsere Fraktion prüfen, ob sich bestimmte Eindrücke bestätigen.

Erstens, der Eindruck, dass Kitas in kommunaler Trägerschaft Betreuungsvereinbarungen nach tatsächlich genutzter Stundenzahl vergeben und deshalb weit weniger Verträge über 45h pro Woche abschließen. Der direkte Vergleich der Zahlen zeigt: nur 47% der Verträge wurden in kommunalen Kitas über 45 h/Woche abgeschlossen, bei den freien Trägern waren es hingegen über 75 %.

Es ist zu hinterfragen, ob Kinder in Kitas in freier Trägerschaft tatsächlich länger betreut werden müssen oder ob den Eltern in einer Vielzahl der Kitas in freier Trägerschaft ausschließlich 45h oder 40 h pro Woche-Verträge angeboten werden. Zunächst muss jede Kita den Eltern die Möglichkeit geben, einen Betreuungsvertrag mit der Höhe der Stundenzahl abzuschließen, wie sie die Eltern tatsächlich benötigen. Es ist sicherzustellen, dass allen Eltern das Wunsch- und Wahlrecht in jeder Kita zugestanden wird.

Wie allgemein bekannt, zählen aber aufgrund des Betreuungsschlüssels des Landes ausschließlich Verträge ab 45h/Woche als voll anzurechnende Betreuungsverträge. Die Anzahl der abgeschlossenen 45h/Woche-Verträge pro Kita haben somit erhebliche Auswirkungen auf die Höhe der zugeteilten Personal- und Sachkosten pro Kita. Hier muss nach tatsächlich geleisteten Stundenzahlen verteilt werden.

Zweitens, der Eindruck, dass kommunale Kitas viel mehr Integrationskinder sowie Kinder mit Migrationshintergrund betreuen. Gerade bei Kindern mit Migrationshintergrund geht die Schere weit auseinander. 2022 wurden knapp 29% von ihnen in Kitas in freier Trägerschaft betreut, während die kommunalen Kitas 70% der Kinder betreuten.

Der Segregation in Kindertagesstätten muss aber entgegengewirkt werden, wir wollen eine soziale Durchmischung der Kinder in allen Leipziger Kitas. Nur so kann Integration wirklich gelingen. Zudem bedeuten die derzeitigen Zahlen eine höhere Arbeitsbelastung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der städtischen Kindergärten, da sie mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert sind, die im interkulturellen Zusammenleben entstehen, denn viele Eltern und Kinder mit Migrationshintergrund sprechen kaum Deutsch.

In der vorliegenden Neufassung unseres gemeinsamen Antrags mit der Linken-Fraktion fordern wir deshalb entsprechende durch die Verwaltung erarbeitete Handlungsrichtlinien. Diese müssen gewährleisten, dass alle Erzieherinnen und Erzieher, unabhängig davon, ob sie in einer Kita in kommunaler oder freier Trägerschaft oder eines städtischen Eigenbetriebes arbeiten, einem ähnlichen Arbeitspensum ausgesetzt sind und den Eltern das Wunsch- und Wahlrecht zusteht. Auch braucht es dringend Weiterbildungsangebote für die Erzieher und Erzieherinnen, die Kinder mit Migrationshintergrund betreuen.

Wir übernehmen in weiten Teilen den Verwaltungsstandpunkt, fordern aber mehr Transparenz bei der Ausarbeitung der Kita-Grundsatzvereinbarung. So soll den aufgrund unserer Anfrage aufgeführten Missständen –  der Sicherung des Wunsch- und Wahlrechts bei der Betreuungszeit sowie der Segregation der Kinder – entgegengewirkt werden.

Rede zu den Anträgen „Erinnerung an ehemalige Leipziger Synagogen und Bethäuser“ und „Gedenkstein für den ehemaligen jüdischen Friedhof im Johannistal“

Christopher Zenker

Redner: Christopher Zenker, Fraktionsvorsitzender

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Beigeordnete,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
werte Gäste,

ich möchte heute zu den beiden Anträgen meiner Fraktion reden, die sich mit der Erinnerung an das jüdische Leben in Leipzig befassen. Wir sind froh, dass es 85 Jahre nach der Reichspogromnacht, 77 Jahre nach Ende der Nazidiktaur wieder jüdisches Leben in Leipzig gibt. Auch wenn dieses nun, sechs Wochen seit dem Angriff der Hamas und anderer islamistischer Terrorgruppen auf Israel und den damit auch auf in Leipzig lebende Jüdinnen und Juden verbunden Auswirkungen, unter noch höherem Druck steht. Viele Jüdinnen und Juden haben aufgrund dieser Ereignisse und deren Folgen Angst haben. Um so wichtiger ist aktives Erinnern, denn neben dem Wachhalten des Gedenkens zeigt es vor allem auch Solidarität und Emphatie mit den Jüdinnen und Juden, die heute in Leipzig leben.

Es war daher etwas beruhigend für mich, dass am 9. November dieses Jahr viel mehr Menschen unterwegs waren. Stolpersteine geputzt haben sowie Blumen und Kerzen niedergelegt haben. Dieses sichtbare Erinnern schafft Berührungspunkte, schafft Gedenken und hilft, nicht zu vergessen.

Leipzig hatte vor der Machtübertragung an die Nationalsozialisten ein reiches jüdisches Leben mit 13.000 Jüdinnen und Juden. Nach dem Krieg waren es keine 20 mehr. In den 1920er-Jahren gab es in Leipzig die sechst größte jüdische Gemeinde im damaligen Deutschland.

Die jüdischen Friedhöfe, die es in Leipzig gibt, sind ein Zeugnis dieser langen Geschichte. Der erste jüdische Friedhof innerhalb der Leipziger Stadtgrenzen befand sich im Johannistal und wurde um 1814 eingerichtet. Über 50 Jahre blieb dieser Friedhof in Betrieb, bis eine Gesetzesänderung einen Weiterbetrieb unmöglich machte und auf die Bestattungen in der Folge auf einem neuen Friedhof an der Berliner Straße, dem heutigen Alten Israelitischen Friedhof stattfanden. Der erste jüdische Friedhof im Johannistal blieb zunächst erhalten und war ab den 1830er-Jahren von Kleingärten umgeben. 1937 kündigte die Stadt den Pachtvertrag für den ersten Friedhof, beseitigte die Grabsteine, exhumierte die Gebeine und schlug das Areal der umgebenen Kleingartenanlage zu. Wir wollen, dass künftig an diesen ersten Friedhof erinnert wird und freuen uns, dass die Stadt hier schon weiter ist, als wir gedacht hatten. Wir nehmen den Verwaltungsstandpunkt zu Kenntnis und ziehen unseren Antrag hiermit zurück.

Der zweite Antrag befasst sich mit der Erinnerung an die früheren Synagogen und Bethäuser. Um es vorweg zu nehmen, den ziehen wir nicht zurück und der Verwaltungsstandpunkt geht auch nicht in die Richtung, die wir uns vorstellen. Digitale Erinnerung ja, aber bitte nicht als einziges Element, sondern als ergänzender Teil. Zuletzt standen in Leipzig verschiedene beleuchtete Stelen, die an die früheren Synagogen und Gebetshäuser erinnerten. Dieses Projekt war nur temporär angelegt, könnte aber aus unserer Sicht ein mögliches Vorbild für eine dauerhafte Erinnerung an die Orte des Leipziger jüdischen Lebens sein. Anders als der Verwaltungsstandpunkt umreißt, geht es uns nicht unbedingt darum, dieses Projekt 1:1 zu verstetigen – auch wenn das Projekt sehr gelungen war.  Wir wollen, dass überhaupt dauerhaft in einer geeigneten Weise an diese Orte erinnert wird und diese im öffentlichen Raum wahrnehmbar werden. Der Verwaltungsstandpunkt umreißt zudem einige Problemlagen, die einer dauerhaften Lösung im Weg stehen könnten, aber es müssen nicht unbedingt Stelen oder größere Installationen sein, mitunter würden vielleicht auch besondere Gehwegplatten an den Standorten der früheren Synagogen oder Beträume eine Möglichkeit des Erinnern bieten . Ich möchte hier allerdings allzu sehr eingreifen, denn es ist ja der Auftrag an die Verwaltung eine geeignete Form der analogen Erinnerung zu finden. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag für die Erinnerung an ehemalige Synagogen und Bethäuser.

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